AUTOINDUSTRIE: „MARKENERBE WIRD ZUR LAST“ – VW, BMW UND MERCEDES STüRZEN IN CHINA WEITER AB

In ihrer wichtigsten Absatzregion verlieren die deutschen Autobauer kontinuierlich an Einfluss. Die Marktanteile fallen. Radikale Lösungen werden wahrscheinlicher.

Die deutschen Autohersteller fallen in China immer weiter zurück. Volkswagen, Mercedes-Benz und BMW haben trotz milliardenschwerer Produktoffensiven in ihrer wichtigsten Absatzregion beim Verkauf von Neuwagen nur noch einen Anteil von 21,8 Prozent. Zum Vergleich: 2020 lag der addierte Marktanteil der drei Dax-Konzerne in Fernost noch bei 26,5 Prozent. Danach ist er kontinuierlich gesunken. Das zeigen Daten des Automotive-Dienstleisters Marklines, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegen.

Vor allem die Zulassungszahlen von Elektroautos und Plug-in-Hybriden sind enttäuschend. Besonders kritisch ist die Lage bei VW. Im rasant wachsenden Segment der New Energy Vehicle (NEV) sind die Verkäufe der Wolfsburger in China im vergangenen Jahr um fast zwei Prozent auf 240.000 Einheiten eingebrochen. Der chinesische Konkurrent BYD ist zeitgleich um 55 Prozent gewachsen und konnte 2,5 Millionen Akku-Autos ausliefern.

Zwar dominieren VW, BMW und Mercedes nach wie vor das Geschäft mit Verbrennern in China. Doch dessen Bedeutung schrumpft rapide. „Die deutschen Autobauer sitzen in China in einer Falle. Ihr Markenerbe wird zur Last“, sagt Andreas Herrmann, Direktor am Institut für Mobilität an der Universität St. Gallen.

Viele junge Chinesen würden „Westware“ im Gegensatz zu ihren Eltern ablehnen. Sie kaufen lieber E-Autos von nationalen Anbietern. Kooperationen, Zukäufe und neue Marken könnten die Not der Deutschen lindern. Vor der großen Automesse in Peking, die diesen Donnerstag startet, scheint nichts mehr tabu zu sein.

VW-Spitzenlimousine ID.7 droht zu floppen

Die PR-Abteilung von Volkswagen hatte sich mächtig ins Zeug gelegt. Als der Autobauer vor einem Jahr zeitgleich in Berlin, New York und Shanghai die Elektrolimousine ID.7 vorstellte, träumten die Wolfsburger von einem „Weltauto“. Das fast fünf Meter lange Fahrzeug, eine Art Elektro-Passat, sollte Volkswagen den lang ersehnten Schub bei der Elektromobilität verleihen. Mittlerweile ist klar: Die Hoffnungen haben sich zerschlagen, gerade in Fernost.

Seit dem Marktstart des ID.7 im Dezember hat VW nach Konzernangaben bis Ende März gerade einmal 4218 Stück von dem Modell in China verkauft. Zulassungszahlen auf Basis von Versicherungsdaten – in China die harte Währung in den Verkaufsstatistiken – weisen bis Ende Februar laut Marklines sogar nur 2726 Einheiten aus.

Vergleichbare Konkurrenzmodelle verkaufen sich weit besser. So konnte etwa der chinesische Hersteller GAC seit November 2023 mehr als 40.000 Einheiten von seiner Limousine Aion S absetzen. Selbst dem Premiumhersteller Hongqi gelingt es, mit dem E-QM5 zehnmal so viele Kunden zu überzeugen wie VW vom ID.7.

„Der ID.7 ist ein Topprodukt“, erklärt Stefan Mecha, Chef der Marke VW in China. Volkswagens Anspruch sei es, die E-Limousine „mit ruhiger Hand in den Markt zu bringen“ und sich auf keine Rabattschlacht einzulassen.

Ob das gelingt, ist fraglich. Zumal VW der Absatz auch bei weiteren Elektro-Modellen wie ID.3, ID.4 und ID.6 im Vergleich zu Konkurrenten schwächelt. Das gab zuletzt sogar Konzernchef Oliver Blume zu Bedenken. Mit seinen Elektroautos könne Volkswagen im Moment nicht an der Tabellenspitze mithalten, sagte der Autoboss der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Das liegt daran, dass wir unsere Produktstrategie komplett überarbeiten mussten. In China waren wir nicht vorbereitet auf das starke Wachstum bei den E-Autos.“

Als Blume und eine Heerschar weiterer Vorstände deutscher Fahrzeughersteller- und -zulieferer vor einem Jahr erstmals nach der Coronapandemie wieder eine Messe in China besuchten, war der Schock groß. Die lange belächelte chinesische Konkurrenz präsentierte mutig designte und technologisch weit fortgeschrittene Elektrofabrikate.

Ein Moment wie ein „Erdbeben“

Zeitgleich verlor VW erstmals seit Jahrzehnten die Marktführerschaft in China. In der Branche war von einem „Erdbeben“ die Rede. Die neue Nummer eins heißt seither BYD – und wird es auf absehbare Zeit bleiben. VW wäre mittlerweile schon zufrieden, wenn es ihnen perspektivisch gelingt, der größte ausländische Autohersteller in China zu bleiben. Das ambitionslose Ziel zeigt, wie groß der Rückstand ist – und wie rasant das Geschäftsmodell der Deutschen in China bröckelt.

Im Jahr 2020 – zu Beginn der Coronapandemie – hatte der Verbrenner in China noch 94 Prozent Marktanteil bei Neuwagen. In diesem Jahr geht Volkswagen davon aus, dass der Wert auf knapp 50 Prozent abschmelzen wird.

Auch BMW und Mercedes scheitern bislang weitgehend daran, den Markt für Elektroautos und Plug-in-Hybride zu dechiffrieren. Im Gegensatz zu VW konnten die beiden süddeutschen Premiumhersteller zwar zuletzt in Summe deutlich mehr New Energy Vehicle verkaufen. Dieses Wachstum reicht aber im Vierjahresvergleich nicht aus, um das rückläufige Volumen bei Verbrennern zu kompensieren.

Hinzu kommt: 2023 entfielen nur 1,7 Prozent aller batterieelektrischen Neuwagen in China auf BMW und 0,7 Prozent auf Mercedes. Die Konzerne liegen damit weit unter den gewohnten Werten bei Diesel und Benzinern. Dort weisen sowohl BMW als auch Mercedes einen Marktanteil von mehr als 4,5 Prozent aus.

„Die große Frage ist, ob die westlichen Hersteller den Wettstreit bei batterieelektrischen Fahrzeugen in China noch gewinnen können oder nur noch den Verbrennermarkt auscashen“, sagt Fabian Brandt, Leiter des Autobereichs bei der Strategieberatung Oliver Wyman.

Noch sei das Rennen offen – auch weil VW, BMW und Mercedes zuletzt glänzend verdient haben. Sie verfügen zusammengerechnet über ein Nettofinanzvermögen von 89 Milliarden Euro und erwirtschaften nach wie vor höhere Renditen als die Konkurrenz.

Die deutschen Hersteller sollten den Kampf mit den chinesischen Wettbewerbern daher proaktiv aufnehmen, empfiehlt Brandt. Das wirkt zunächst mäßig attraktiv. Nirgendwo ist das Geschäft mit Elektroautos härter als in Fernost. Mehr als hundert Marken fechten einen brutalen Preiskrieg untereinander aus. Die Folge: Die durchschnittliche Gewinnmarge in Chinas Autoindustrie ist laut dem Branchenverband CPCA seit 2015 von fast neun auf fünf Prozent abgeschmolzen.

„Das Innovationstempo und der Preiskrieg bringen jedoch etwas Positives hervor“, erklärt Brandt. Wer in diesem rauen Umfeld besteht, sei für die Zukunft auch global optimal aufgestellt. „Eine defensive Positionierung in China wäre grundfalsch“, sagt der Szenekenner. „Die deutschen Autobauer müssen hier voll mitmachen. Für sie gibt es keine vorstellbare Zukunft ohne China.“

Der Grund: Europa und die USA verlieren als Produktions- und Absatzmärkte zunehmend an Bedeutung. Große Volumen verschieben sich nach Asien. „Als Hersteller mit globalem Anspruch kann nur überleben, wer in China relevant ist“, analysiert Brandt. Um diese Relevanz sicherzustellen, setzen VW, BMW und Mercedes von nächstem Jahr an auf neue, milliardenteure Plattformen. Sie sollen die Deutschen technologisch wieder an die Spitze katapultieren.

Was das konkret heißt, hat Mercedes-Chef Ola Källenius vor wenigen Wochen im Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz erläutert. Die nächste Generation an Elektroautos mit Stern wie CLA oder GLC auf den beiden neuen Architekturen „MMA“ und „MB.EA“ sollen 30 Prozent effizienter sein, doppelt so schnell laden und teils mehr als 850 Kilometer weit fahren können. Von seinem aktuellen Antriebsstrang werde Mercedes „nicht ein einziges Teil“ übernehmen, sagte Källenius. „Alles neu.“

Ähnliche Sprünge haben BMW mit der „Neuen Klasse“ und VW mit der „SSP“-Architektur vor. Die Deutschen sind bei dieser Offensive bereits zum Erfolg verdammt. Mit jedem Tag steigt der Handlungsdruck. Denn die Konzerne haben einen strukturellen Kostennachteil von geschätzt 2000 bis 3000 Euro pro Fahrzeug und immer mehr Probleme, ihre bestehenden Werke in China voll auszulasten.

Volkswagen konnte 2023 beispielsweise lediglich 3,1 Millionen Fahrzeuge in Fernost produzieren, wie Zahlen des Datendienstleisters Marklines zeigen. Demgegenüber steht eine Kapazität in den Werken von rund 4,8 Millionen Fahrzeugen. Auch BMW hat in der Hoffnung auf stetiges Wachstum seine Fabriken in den vergangenen Jahren stark ausgebaut.

Die Münchener können bis zu 1,2 Millionen Pkw in China montieren. Gebaut hat BMW im Vorjahr allerdings nur knapp 730.000 Fahrzeuge. Mercedes hat 2023 gut 604.000 Autos in China produziert – bei einer auf 820.000 Einheiten angewachsenen Werkskapazität.

Als strategischer Fehler erweist sich, dass die Deutschen den Markt für Plug-in-Hybride in China falsch eingeschätzt haben. Die Modelle, die sowohl einen E-Motor als auch einen Verbrenner mitführen, legen in der Volksrepublik aktuell stärker zu als vollelektrische Fahrzeuge. Von dem Boom profitiert aber lediglich Mercedes in begrenztem Umfang, da die Schwaben auch Plug-ins mit mehr als hundert Kilometern elektrischer Reichweite anbieten, die als förderwürdig gelten.

BMW, Audi und Porsche stehen hier nahezu blank da. VW will künftig immerhin vier Plug-in-Modelle auf Basis von Passat und Tiguan mit deutlich verbesserter Reichweite nachziehen.

Zum Problem wird derweil, dass die Premium- und Luxusnische, in der die Deutschen besonders stark sind, in China gerade neu definiert wird. Was zählt, sind nicht mehr schwere Motoren, sondern clever vernetzte Fahrzeuge mit hilfreichen Features und neuester Kommunikationstechnologie. „Da sind die Deutschen nicht an vorderster Front dabei, hier sind die Chinesen die Innovatoren“, sagt Autoexperte Andreas Herrmann von der Universität St. Gallen.

Der Professor für Betriebswirtschaftslehre ermutigt VW, BMW und Mercedes zu neuen Ansätzen. Die Deutschen sollten demnach beim Design radikaler werden und bei der Software eine breite Allianz bilden, um gegen die Ökosysteme von Angreifern wie dem Smartphone-Riesen Xiaomi zu bestehen, die ins Autogeschäft drängen.

Darüber hinaus empfiehlt Herrmann den Aufbau neuer Elektrosubmarken, die die Endkunden gar nicht direkt mit deutschen Großkonzernen verbinden. „So könnten die deutschen Kernmarken flankiert werden, die viele Chinesen teils nur mit Verbrennern assoziieren.“ Bei steigendem Leidensdruck müssten auch Zukäufe erwogen werden. „Und es braucht eine stärkere Verzahnung von Expats und lokalen Kräften im Topmanagement in China.“

Während BMW und Mercedes noch daran glauben, sich aus eigener Kraft bei Elektroautos in Fernost wieder ganz nach oben arbeiten zu können, bricht VW bereits mit langjährigen Glaubenssätzen. Im vergangenen Jahr kauften sich die Wolfsburger für 700 Millionen Dollar einen Fünfprozentanteil am defizitären chinesischen Auto-Start-up Xpeng. Seither verkünden die beiden Unternehmen immer neue Kooperationsprojekte – bei denen VW technologisch jedoch nur der Juniorpartner ist.

Gemeinsam will man etwa im Jahr 2026 einen vollelektrischen Mittelklasse-SUV auf den Markt bringen. Die Entwicklung der darunterliegenden Fahrzeugplattform, eigentlich die Königsdisziplin des Autobaus, übernimmt im Kern Xpeng. Auch bei der Gestaltung einer neuen elektrisch-elektronischen Architektur (E/E), die Steuergeräte, Domainencontroller und Zentralrechner blitzschnell mit Infotainment- und Fahrerassistenzsystemen vernetzt, hat Xpeng bereits die Vorarbeit geleistet.

Die in Eigenregie entwickelten Systeme von VW sind in China nur eingeschränkt wettbewerbsfähig. Das hierzulande unbekannte Softwarehaus Thundersoft soll den Niedersachsen daher beim Infotainmentsystem helfen, und beim autonomen Fahren schwört VW auf Horizon Robotics. Die Premiumtochter Audi will wiederum eine Elektroplattform vom Staatskonzern SAIC übernehmen.

Alle vier Allianzen des VW-Konzerns folgen der gleichen Logik: schneller und günstiger sein als Wolfsburg. Von 30 Prozent kürzeren Entwicklungszyklen ist die Rede. Und mehr „in China für China“ fertigen, auch als Absicherung für den Fall, dass sich der Handelskrieg zwischen Peking und dem Westen weiter zuspitzt oder die Kommunistische Partei ernst macht und Taiwan angreift.

Gesteuert wird die Aufholjagd vom neuen VW-Entwicklungshub im ostchinesischen Hefei. Zunächst investierte Europas größter Autobauer hier eine Milliarde Euro, jetzt wurden noch mal 2,5 Milliarden nachgeschossen.

VW-Veteran Thomas Ulbrich leitet die neue Einheit und soll „VW China“ ein Stück weit zur eigenen, unabhängigen Marke machen. Das durch diese Lokalisierung absehbar Skaleneffekte im Konzernverbund verloren gehen, nimmt er in Kauf. Noch mehr Zeit mit Abstimmungsschleifen zu verplempern wäre das größere Risiko.

2024-04-22T15:39:55Z dg43tfdfdgfd