DIE RAUBKATZE WIRD ELEKTRISCH: ZUERST EIN RANGE ROVER, DANN JAGUAR – DER BRITISCHE HERSTELLER JLR SETZT AUF STROM

Der Urahn des Land Rover Defender kam 1948 auf den Markt, Churchill und die Queen schätzen den Wagen. Im neuen Design findet er immer mehr Käufer.

Zu den größten Herausforderungen im Automobildesign gehört es sicher, eine traditionelle, dem Auge seit Jahrzehnten vertraute PS-Ikone optisch umzumodeln, einer modernen Formenwelt anzupassen, ohne ihren Charakter zu verwässern.

So hatte sich der Land Rover Defender, der unbestrittene, sogar als Lego-Bausatz erhältliche Klassiker unter den Geländewagen, bis 2016 seine Urform trotz aller ästhetischen und technischen Überarbeitungen im Kern erhalten. Er erinnerte bis zuletzt an das allererste Modell von 1948, das schon durch den Namen eine zunächst vor allem landwirtschaftliche Klientel ansprechen sollte.

Das nach vierjähriger Produktionspause offerierte Nachfolgemodell dagegen ließ puristische Liebhaber der Marke vermutlich erst mal tief durchatmen. Das Kantige, Rustikale war verschwunden, das Design war weicher, urbaner geworden, die scharfe Linienführung besonders in der Frontpartie durch Rundungen gemildert, die gewisse Ruppigkeit und latente Aggressivität durch Eleganz ersetzt worden.

Schrauben erinnern an die verschwundene Rustikalität

Eine Eleganz allerdings, die noch immer durch Schrauben zusammengehalten wird, man werfe nur einen Blick in den Innenraum. Üblich im modernen Fahrzeugbau ist die Unsichtbarkeit solcher Befestigungselemente. Beim aktuellen Defender aber haben die Designer sich dafür entschieden, die Schrauben an Mittelkonsole, Türverkleidungen, Armaturenbrett nicht zu verstecken, sondern als chromglänzende Details zu zeigen – wenn man so will, eine Reminiszenz an die verschwundene Rustikalität.

Ob das Off-Road-Puristen versöhnt hat? Ein leicht wiederzuerkennendes Fahrzeug ist der aktuelle Defender immerhin geblieben, ja, bei aller Wuchtigkeit doch agil und damit durchaus stadttauglich, aber besonders für schweres Gelände hochgeeignet, im Kriechgang und sogar bei wilden Verfolgungsjagden.

Das musste auch James Bond feststellen, dem in „Keine Zeit zu sterben“ eine Horde feindlicher Defender im Nacken saß. Und was die Verkaufszahlen betrifft, sicheres Indiz für den Erfolg eines neu auf den Markt geworfenen Wagens: Sie sprechen für sich.

So wurden bis 2016 vom alten Defender weltweit rund 10.000 Fahrzeuge pro Jahr verkauft. Vom neuen Modell waren es 2023 wiederum 10.000 – allerdings monatlich. Allein in Deutschland wurden im Vorjahr 4441 Fahrzeuge geordert, was gegenüber 2022 einem Zuwachs von 37,5 Prozent entspricht.

Der Defender, erhältlich in drei Größen mit bis zu acht Sitzen, was für ein passables Expeditionsteam reicht, war damit hierzulande das meistverkaufte Modell des britischen Herstellers Jaguar Land Rover (JLR), wie Deutschland-Geschäftsführer Jan-Kas van der Stelt jetzt in Hamburg vor Journalisten mitteilte.

Ein Rekordumsatz von 24,7 Milliarden Euro

Auch mit dem Ab- und Umsatz seiner Marken Jaguar, Defender, Range Rover und Discovery insgesamt kann JLR zufrieden sein, sei es beim deutschen Zweig mit Sitz in Kronberg im Taunus, in der britischen Zentrale in Coventry oder beim indischen Eigentümer Tata Motors in Mumbai.

So erzielte JLR in den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres 2023/24 weltweit einen Rekordumsatz von etwa 24,7 Milliarden Euro, das sind 35 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch stieg der Absatz im dritten Quartal des Geschäftsjahres 2023/24 gegenüber der Vorjahresperiode um 29 Prozent auf 109.140 Fahrzeuge. JLR Deutschland brachte es im Kalenderjahr 2023 immerhin auf 10,6 Prozent, wobei der Defender eindeutig an der Spitze lag.

Die vor drei Jahren beschlossene Unternehmensstrategie scheint sich zu bewähren. So preist sich JLR als „House of Brands“, sieht neben Jaguar auch Defender, Range Rover und Discovery als eigenständige Luxusmarken an und nicht nur als Modellreihen der Marke Land Rover, wie dies viele, mit den Besonderheiten britischer Fahrzeugkultur vielleicht nicht allzu vertraute Automobilisten vermutlich weiterhin tun.

Diese offizielle Markenvielfalt fügt sich ein in die „Reimagine“-Strategie, mit der JLR zum „weltweit führenden Hersteller der begehrtesten modernen Luxusautomobile“ aufsteigen will, wie es beim Hamburger „Media Round Table“ hieß. Als Kernpunkte werden neben einem unverwechselbaren Design – beim Defender zweifellos gelungen – die bei solchen Luxuskarossen ohnehin erwartbare Qualität und „besondere Kundenerlebnisse“ wie besondere, aufs Zielpublikum abgestimmte Produktpräsentationen genannt, weiter eine umfassende Digitalisierung und Elektrifizierung des Angebots.

Die Rennserie Formel E als Testlabor

Für die weitere Digitalisierung und Vernetzung will JLR zunehmend auf das geballte Know-how von Tata Consultancy Services zurückgreifen, wie Tata Motors eine Tochter des Mischkonzerns Tata Group. Bezüglich der Elektrifizierung sieht man Jaguars erfolgreiches Engagement in der Rennserie Formel E als nützlich für Entwicklung und Erprobung neuer Technologien an.

Ohnehin die E-Mobilität: Darin liegt JLR bislang nicht an der Spitze, das soll sich ändern. Es gibt zwar bereits Plug-in- und Mild-Hybrid-Antriebe für die gesamte Modellpalette. So wird für den in Hamburg für Probefahrten bereitgestellten Range Rover Sport (PHEV-Technik, 550-PS-Turbobenziner) eine elektrische Reichweite von 110 Kilometern angegeben.

Vollelektrische JLR-Fahrzeuge gibt es bislang zwar nicht, doch wird man noch in diesem Jahr den Range Rover Electric als erstes vollverstromtes Fahrzeug des Herstellers bestellen können. Bis 2030 soll dann jede Modellreihe eine rein elektrisch angetriebene Variante erhalten, ohne dass die traditionellen Verbrennermotoren ganz aussortiert würden.

Paul McCartneys Liebe zum Land Rover

Einen kompromisslosen Weg schlägt JLR dagegen mit seiner Marke Jaguar ein. Wer besonderen Wert auf das klassische Raubtiergrollen legt, sollte mit dem Kauf eines Neuwagens nicht zu lange warten: Jaguar wird ab 2025 vollelektrisch. Geplant sind drei neu gestaltete Luxusmodelle.

Das erste wird ein viertüriger GT sein; Details werden im Laufe dieses Jahres bekannt gegeben. Mit einer höheren Leistung als jeder bisherige Jaguar, einer Reichweite von bis zu 700 Kilometern und einem Preis ab etwa 150.000 Euro dürfte er in direkte Konkurrenz zum Porsche Taycan und Audis e-tron GT treten.

Als Song für das dann fällige Werbevideo wäre vielleicht „Step Out“ von Oasis zu empfehlen: „She Looked Just Like a Star in a Jaguar“, dazu E-Gitarren im Höllentempo. Doch schon Land Rover hatte zuvor seinen Beitrag zur britischen Rockgeschichte geleistet. Vor ziemlich genau 50 Jahren besang Paul McCartney mit den Wings im Song „Helen Wheels“ seinen alten Land Rover, der damals noch nicht Defender hieß. Der Ex-Beatle und seine Linda hatten den Geländewagen scherzhaft „Hell on Wheels“ genannt, woraus der Songtitel entstand.

Ein Hinweis auf eventuelle Unzufriedenheit mit der Produktqualität? Keineswegs, war der Land Rover doch „a trusted vehicle that gets us around Scotland“, wie McCartney ihn später pries. Da überrascht es, dass er fürs Musikvideo auf eine andere britische Marke umstieg – auf Rolls-Royce.

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