ELEKTRO-LASTER IN DEUTSCHLAND: JETZT KNüPFT SICH CHINA DIE LASTWAGEN VOR

Sie springen auf dem gefederten Fahrersitz auf und ab, als säßen sie auf einem Gymnastikball, tippen auf den fünf Bildschirmen im Cockpit herum, liegen Probe, wo später die Trucker schlafen. Draußen schauen sie sich an, wo die Batterien, die Ladeanschlüsse und der Elektromotor verbaut sind, fragen nach Lademöglichkeiten und Versicherungskosten. Die beiden chinesischen Vertreter der Logistikriesen DB Schenker und Kühne + Nagel sind eigens in ein Schanghaier Logistikzentrum des französischen Luxuskonzerns LVMH gekommen, um das Gefährt gründlich unter die Lupe zu nehmen, das die Lastwagenbranche revolutionieren soll.

Das chinesische Start-up dahinter ist zwar gerade mal zwei Jahre alt. Aber Windrose -Gründer Wen Han hat keine kleinen Pläne: Börsengang mit Milliardenbewertung noch in diesem Jahr, in zwei Jahren einer der zehn größten Truck-Hersteller der Welt. Mit einem Werk in Antwerpen will er zum „größten automobilen Arbeitgeber“ des Landes aufsteigen und in dem Zug gleich Belgiens „gesamte Automobilwirtschaft revitalisieren“.

So erzählt er es an einem Samstagmorgen im Gespräch mit der F.A.Z. Er empfängt in einer luxuriösen Wohnanlage unweit des Flughafens Hongqiao in Schanghai. Expat-Manager spielen Tennis, ihre Frauen brunchen, die Kinder toben umher. Ein Clown unterhält sie.

Han ist offen, lässig. Anders als viele andere chinesische Unternehmer hat er keinerlei Angst davor, sich in der westlichen Presse zu äußern. Man merkt ihm an, dass er an elitären Einrichtungen in den USA studiert hat, dem Williams College und der Universität Stanford. Bevor der 34 Jahre alte Chinese zum Gründer wurde, hat er für US-Investoren gearbeitet und war Finanzchef des Robo-Truck- Start-ups Plus. Gerade erst hat er 110 Millionen Dollar von internationalen Investoren bekommen, in diesen Tagen präsentiert er seinen Wunderlastwagen auch in Europa. Demnächst soll der Truck auch auf deutschen Straßen getestet werden, schreibt er der F.A.Z. in einer Wechat-Nachricht, dem chinesischen Whatsapp. Auf der Automesse in Peking hat er das Fahrzeug gerade mit viel Tamtam vorgeführt.

Sind die Lastwagen nach den Solarzellen, den Windkraftturbinen und den Elektroautos die nächste Branche, die die Chinesen übernehmen? Oder ist Windrose nur das nächste Lastwagen-Start-up, das große Töne spuckt, nur um wenig später gegen das Aus zu kämpfen?

Die ersten Warnungen, dass es sich um das nächste west-östliche Schlachtfeld handelt, wurden zuletzt laut. Sie kamen nicht von irgendjemandem, sondern vom Traton-Chef Christian Levin, zu dessen Reich Marken wie Scania und MAN gehören und der Teil des Volkswagen-Konzerns ist. Levin verwies im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Bloomberg auf chinesische Elektrobusse, die sich in kurzer Zeit etabliert hätten, vor allem dank ihres Zugangs zu guter Batterietechnologie. „Wenn man das hochrechnet und die Lastwagen anschaut, kann man sich eine ähnliche Entwicklung vorstellen.“

Leichte Fahrzeuge auf kürzeren Strecken

Elektrifiziert werden vermutlich erst leichtere Lastwagen auf kürzeren Strecken, was nicht heißt, dass der Rest nicht folgt. Doch wie schnell verläuft die Transformation? Für kurze Strecken von etwa einhundert Kilometern am Tag könnte es rapide gehen: Schon Ende des Jahrzehnts dürfte jeder dritte neue Schwerlastwagen in China elektrisch sein, sagen die Berater von McKinsey voraus. Und auf der Langstrecke, also ab etwa fünfhundert Kilometern, trauen sie den Elektrolastwagen bis in einem Jahrzehnt rund die Hälfte an Marktanteil zu. Langfristig ist für die Berater klar: Weder Diesel noch Flüssiggas haben in China eine Chance gegen die Stromer. Elektrifizierung kann dabei vieles bedeuten. Lastwagen mit Batterien, die geladen oder getauscht werden. Auch Hybrid- oder Brennstoffzellenlastwagen könnten eine Rolle spielen, tun sich bisher aber eher schwer.

Andere drücken auf die Bremse: „Das Lastwagengeschäft ist ein wenig komplexer als das Geschäft mit Autos“, sagt Martin Daum der F.A.Z. Daum ist Vorstandsvorsitzender von Daimler Truck , des größten Lastwagenherstellers der Welt. „Lastwagen sind immer angefertigt nach individuellen Bedürfnissen und nie von der Stange. Man kann Lastwagen nicht fern vom Markt produzieren, auf Schiffe laden und dann nach Europa bringen, so funktioniert das Lastwagengeschäft nicht.“ Der Weg in den Markt sei für Start-ups in Europa beschwerlich. „Ich glaube nicht an einen erfolgreichen Markteintritt in den nächsten zwei Jahren.“ Er zweifelt zudem an den Ankündigungen von Gründer Han. „Ich sehe nicht, dass Windrose innerhalb von zwei Jahren der größte Arbeitgeber im Automobilbereich in Belgien sein wird. Kein Neueinsteiger wird so schnell Unternehmen wie Volvo und Paccar dort überrunden.“

Auch unter Analysten ist die Skepsis groß: „Wir glauben nicht, dass die Lastwagen dem gleichen Pfad folgen wie die Autos“, schreibt Miki Sasaki der F.A.Z. in einer E-Mail. Sie befasst sich als Direktorin im Analysehaus S&P Global mit der Zukunft der Truck-Branche. „Elektrische Trucks haben in China nur einen kleinen Marktanteil und stecken noch in den Startlöchern.“ In drei Jahren dürfte ungefähr jeder fünfzehnte neu gebaute Lastwagen elektrisch sein, schätzt sie. Jeder achte, also ungefähr doppelt so viel, werde dagegen auf Flüssiggas ausgerichtet sein. „Diesel wird weiter dominieren.“

Chinas neue Elektro-Krösusse jedenfalls nehmen die Truck-Branche längst in Angriff. BYD, Chinas größter E-Auto-Hersteller und zweitgrößter Batteriehersteller der Welt, hat seit Längerem Stromlastwagen im Angebot, vorerst allerdings eher für kürzere Strecken.

In China schon Ladesäulen für Elektro-Lkw

Und auf einer gut vierhundert Kilometer langen Autobahnstrecke an der Südostküste Chinas stehen schon heute vier Batterietauschstationen für Elektrotrucks. Dahinter steht niemand Geringeres als CATL, der größte Batterielieferant der Welt, der in Deutschland vor allem für sein Werk in Thüringen bekannt ist. Von einem „wichtigen Meilenstein“ sprach dessen Chef Robin Zheng bei der Eröffnung der Teststrecke. Die Batterien sind in Lastwagen von Deepway verbaut, einem der Konkurrenten von Windrose. Zu dessen Investoren zählt unter anderem der Internetriese Baidu, der längst auch unter die Autohersteller gegangen ist. Han nennt Deepway den „zweitbesten Wettbewerber“.

Analystin Sasaki sieht stattdessen die etablierten Konzerne in Führung. „Wir glauben, dass in der nahen Zukunft eher große Hersteller die Elektrifizierung vorantreiben“, schreibt sie. Martin Daum von Daimler Truck sieht sich gut gerüstet für die neue Konkurrenz. Der Konzern verweist darauf, dass man mit den Transportern eCanter und eEconic und dem Verteilerlastwagen eActros schon Batterielastwagen im Angebot habe. Und der neue, noch größere eActros 600 werde „den neuen Standard im Straßengüterverkehr definieren“. Den Serienstart plant der Konzern für Ende dieses Jahres.

Spricht man Gründer Han auf den eActros an, verzieht er kurz das Gesicht, bevor er antwortet. „Sie versuchen so wenig an ihren Diesel-Lastwagen zu verändern, weil das die Zulieferer überfordern würde.“ Und tatsächlich: Die Elektroherausforderer wie Deepway und Windrose bauen windschnittige Fahrzeuge, keine klobigen Kästen auf Rädern.

Hört man Han zu, fragt man sich unweigerlich, warum nicht alle Lastwagen längst so aussehen. Die Fahrerkabine ist abgeflacht wie bei einem Zug, im Führerhaus ist nur ein Fahrersitz mittig verbaut, was die Front schmaler macht. Der Motor befindet sich nicht unter dem Fahrer, sondern zwischen den Hinterrädern, dadurch kann der Fahrer etwas tiefer sitzen. All das verbessert die Aerodynamik ungemein, zumal sich der traditionelle Lastwagen dem Fahrtwind senkrecht stellt, als sei Aerodynamik ein Zeichen von Schwäche.

Die Batterien des Windrose quetschen sich nicht wie bei anderen Elektrolastwagen hinter das Führerhaus, sondern sind zwischen den Vorder- und Hinterachsen verbaut. Es ist die gleiche Lösung wie bei Elektroautos und spart Platz für den Auflieger. Laut Han kommt der Lastwagen damit auf eine Reichweite von knapp siebenhundert Kilometern – und zwar bei voller Beladung und einem Gesamtgewicht von 49 Tonnen.

Das Ergebnis indes erinnert verdächtig an den Semi-truck von Tesla, auch der Deepway-Lastwagen hat eine ähnliche Form. Han streitet das im Gespräch gar nicht ab. Es gehe eben um Aerodynamik. „Das ist wie eine Optimierungsaufgabe mit vielen Variablen“, sagt er. Die Vorgaben sind die Zulassungsbestimmungen in China, Europa und den USA: Länge, Gewicht, Höhe. Sie hätten jeweils die strengsten Werte genommen, damit der Truck überall fahren könne. „Und dann sieht das logische Ergebnis so aus“, sagt er gelassen. Auf der Plattform Linkedin, auf der er zurzeit sehr aktiv ist, reagiert er mitunter aber auch emotionaler auf die ständigen Tesla-Vergleiche und verweist darauf, dass die Eckwerte seines Trucks besser seien als die von Tesla.

Knackpunkt ist das Laden

Der Knackpunkt für die Elektrobrummis – lautmalerisch könnte man auch von Summis sprechen – ist das Laden. Im Westen zweifeln viele daran, ob es das Stromnetz aushält, wenn Elektrolastwagen innerhalb kurzer Zeit sehr viel Strom ziehen. In China sei das Netz dafür robust genug, sagt Jason Xi. Der Manager ist bei Windrose für die Unternehmensentwicklung zuständig und führt den Mitarbeitern von Schenker und Kühne + Nagel den Truck vor. In den USA und Europa brauche man möglicherweise dezentrale Lösungen wie Solaranlagen und Batterien als Puffer.

Laut Gründer Han können die Fahrzeuge in etwas mehr als einer halben Stunde vierhundert Kilometer an Reichweite tanken, dafür hat der Windrose gleich zwei Ladeanschlüsse an beiden Seiten. Wer einen Truck kauft, installiert deshalb am besten gleich noch eine eigene Stromtankstelle. Dort können die Lastwagen dann möglichst abends und nachts getankt werden, wenn der Strom vielerorts günstiger ist.

Ein Kilometer mit einem Diesel-Lastwagen koste ungefähr 3 RMB, umgerechnet knapp 0,4 Euro, mit dem Elektrolastwagen sei man für durchschnittlich nur etwa 1 RMB unterwegs, rechnet Manager Xi vor. Wer nur nachts lade, komme günstiger weg. Insgesamt könnten die Gesamtkosten des Elektrolastwagens trotz der Kosten für die Tankstellen rund ein Fünftel günstiger sein, sagt er. Den Kostenpunkt für den Lastwagen beziffert er auf rund 200.000 Euro. Es ist ein Segment, das es in China bisher kaum gibt, selbst Ende des Jahrzehnts werden noch neunzehn von zwanzig verkauften Lastwagen unter 100.000 Dollar kosten, sagt McKinsey voraus.

Auch deshalb bleibt Han nur der Weg ins Ausland, wo es einen Markt für Premium-Lastwagen gibt. Trotz der „Lawine“, die die Geopolitik für global agierende Unternehmen sei, wie er sagt. Sein bisheriges Team von 130 Mitarbeitern sitzt in Hefei, Chinas E-Auto-Hochburg schlechthin. Die meisten davon sind Entwickler. Für die Produktion kooperiert er unter anderem mit dem dortigen Staatskonzern JAC. Die Asienzentrale steht in Hongkong. Im Werk in Belgien wolle er jetzt 600 Leute einstellen, sagt er. Möglicherweise wandert dorthin auch die globale Unternehmenszentrale. Geld und Interesse ist genug da. 6000 Trucks sind laut Han schon vorbestellt.

Klar ist: Wen Han ist gekommen, um zu bleiben. Das hat er, der selbst so viel verkörpert, das so gar nicht zur geopolitischen Blockbildung passt, gerade erst symbolisch deutlich gemacht. Der kosmopolitische, amerikanisch wirkende Chinese, der ohne Angst vor Medien und Politik die globale Öffentlichkeit sucht, verkündet auf Linkedin: Sein zwei Jahre altes Start-up, das in Hefei, der neuen Welthauptstadt der E-Mobilität, den Lastwagen neu erfindet, wird in der alten Hafen-, Handels- und Diamantenstadt Antwerpen zum Sportsponsor. Das lokale Basketballteam quetscht sich in die Führerkabine, vorn posiert Wen Han. Die Antwerpen Giants heißen künftig Windrose.

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